Denkschrift
betreffend die Örtlichkeit und näheren Umstände des tragischen
Todes des Kronprinzen Rudolf in Mayerling am 29. Jänner 1889.
Ich, Friedrich Wolf, Tischlermeister in Alland Nr. 9, Sohn des Tischlermeisters
Peter Wolf ebenda bin am 26.Juli 1869 in Allland geboren und der letzte
Tatortszeuge des blutigen Dramas von Mayerling.
Ich war damals bereits 20 Jahre alt, also bei guter Vernunft, und habe die einzelnen Umstände dieses schrecklichen Unglücks auch dadurch genau im Gedächtnis, weil ich sie in Laufe der seitherigen 53 Jahre ungezählte male erzählen mußte, bis in die jüngste Zeit. Bestrebt, nur die lautere Wahrheit zu sprechen, erkläre ich eidesstattlich folgendes: In dem ansonsten unbewohnten Jagdschlößchen Mayerling wurden stets knapp vor jedem Jagdbesuch durch den Kronprinzen Rudolf oder seiner Jagdgäste die Parketten blank abgezogen und gewichst. So hatten demnach mein Vater und ich auch für den 30.Jänner 1889 früh vom Schloßverwalter Alois Zwerger einen bzgl. Auftrag erhalten. Als wir um etwa 4 Uhr früh in strenger Kälte, tiefer Schnee und Finsternis mit unserer Laterne gegen Mayerling marschierten, kam uns halbenwegs auch mit einer Laterne, der 60jährige Hausdiener Strubreiter entgegen und sagte: „Heut' dürfts nicht kommen, es ist etwas vorgegangen, was weiß ich nicht, ihr werd's schon geholt werden, zum Herrichten." Schon nächsten Tag hörten wir dann jene sich abwechselnden schrecklichen Gerüchte über den plötzlichen Tod des Kronprinzen und noch anderer Personen. Die Zeitungen brachten sofort und später immer wieder sich gänzlich widersprechende Schilderungen Trotzdem, wie man hörte, die unmittelbaren Zeugen und Mitwisser strengst unter Eid genommen worden waren, sickerte doch die eigentliche, von den offiziellen Berichten verschwiegenen Wahrheit wenigstens teilweise durch. Doch traute sich niemand, sie frei auszusprechen. Nachstehend das, was ich sah und hörte: Über 8 Tage lang bemerkte man, was sonst nie so lange der Fall war, aus dem Rauchfang des Schlößchens, das von Gendarmen bewacht wurde, Rauch aufsteigen. Es hieß, daß dort ein Schwerverwundeter liege. Nach dieser Zeit wurden endlich mein Vater und ich zum Herrichten der Schloßräume geholt. Wir erschraken. Es sah wüst aus, wie nach einem erbitterten Kampf. Etwa 5 Kugeln steckten in den Möbeln. An den Wänden und an der Decke des Zimmers waren Kugelspuren. Das Gassenfenster des Parterrezimmers war von außen eingedrückt, ebenso die Tür vom Nebenraum her, Teppich und Parketten an vielen Stellen blutig, ebenso die Bettmatratzen, die arg nach Blut stanken. Die Teile von 3 zertrümmerten Sesseln aus hartem Nußholz sind im Zimmer herumgelegen. Der Kronprinz ist ja wirklich erschlagen worden in der Rauferei und
die Vetsera dabei auch getötet worden im Tumult mit den Leuten, die
durch das erbrochene Fenster oder die Türe eingedrungen sind.
Meine auf persönlichem Augenschein beruhenden Angaben entsprechen
der reinen Wahrheit. Diese wurde in den amtlichen Berichten verschwiegen.
Ich aber, der letzte lebende Tatortszeuge von 1889 fühle mich verpflichtet,
sie zu bekennen.
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