Geheim.
Durch kgl. Feldjäger. Wie ich an anderer Stelle heute zu melden mich beehrte, wird amtlich an der Version festgehalten, daß sich Kronprinz Rudolf erschossen habe, und dabei werden die aller Welt ungefähr bekannten Nebenumstände verschwiegen. Ich muß auf die Sache nochmals zurückkommen, weil von sehr ernsten Leuten auch hieran gezweifelt wird und man immer wieder auf das Gerücht zurückkommt, daß der Kronprinz sowie die auf seinem Bette gefundene junge Dame ermordet worden seien. Hierfür sprächen folgende Umstände. Man habe, nachdem die Angabe des Herzschlages nicht haltbar gewesen, den Selbstmord vorgegeben, um die Tatsache der Gegenwart einer weiblichen Leiche nicht einzugestehen und zwar nicht allein aus Schonung für die Kronprinzessin und aus Rücksicht für die öffentliche Moral, sondern auch weil man befürchtete, die Kirche könnte beim Begräbniß Schwierigkeiten machen. Der Beweis, daß der Ermordete an Konkubinat betroffen, hätte die kirchlichen Ehren ebenso schwierig, wenn nicht unmöglich gemacht. Wenn der Mord eingestanden würde, so hätte die öffentliche Meinung die Ermittlung des Thäters und dessen Bestrafung gefordert; hierzu sei aber eine genaue gerichtliche Erhebung der Umstände nöthig gewesen und der ganze wenig moralische Thatbestand wäre an's licht gekommen. Um dies zu vermeiden, hatte sich der Kaiser entschlossen, das vielleicht viel schlimmere und beschämendere Eingeständniß des Selbstmordes zu machen, welcher durch Wahnsinn erklärt werden konnte. Herr Galimberti, der wohl uber gute Quellen verfügen dürfte, theilt diese Ansichten: er hat aber nichtsdestoweniger die amtliche Version sofort acceptirt, um sowohl dem Papst als auch dem hiesigen Hofe große Verlegenheit zu ersparen. Er hält auch jedermann gegenüber diese Version fest. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit hat er mir indessen Nachfolgendes
mitgetheilt. Die Schußwunde des Kronprinzen sei nicht von rechts
nach links gegangen, wie amtlich erklärt worden, und kein Selbstmord
natürlich gewesen, sondern von links rückwärts hinter dem
Ohr nach oben, wo die Kugel am Kopf wieder herausgetreten sei. Auch wären
am Körper noch andere Wunden gefunden worden. Die Zertrümmerung
der oberen Schädeldecke würde zwar dadurch erklärt, daß
der Revolver ganz nahe an den Kopf gehalten gewesen wäre und die entweichenden
Pulvergase diese Verwüstung anrichten konnten, indessen sei diese
Wirkung fraglich. Der Revolver, den man neben dem Bett gefunden,
habe nicht dem Kronprinzen gehört, alle sechs Schuß seien abgeschossen
gewesen. Die Schußwunde des jungen Mädchens befinde sich
nicht an der Schläfe, wie bisher behauptet worden, sondern oben mitten
auf dem Kopf. Auch sie soll noch andere Wunden gehabt haben.
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