Volltext der Loschek-Denkschrift

 

ABGEDRUCKT IM WIENER TAGBLATT:

...bei der Protokollaufnahme  über den Tod des Kronprinzen waren anwesend Hofrat Slatin, Sekretar Ritter von Imhoff und ich. Die ganze Aufnahme wurde in Mayerling einzig und allein nach meinen Äußerungen gemacht und auch von uns gefertigt.  Die ganze Aufnahme umfaßte vier Seiten. Mehrere Tage nachher war eine Konferenz in der Hofburg im Roten Saale, zu welcher eingeladen waren Miniserpräsident Graf Taaffe, Obersthofmeister des Kaisers Fürst Hohenlohe, Obersthofmeister des Kronprinzen Graf Bombelles, Leibarzt Professor Widerhofer und einige Attaches und ich als einziger Zeuge.  Merkwürdigerweise war Graf Hoyos, der sonst außer mir noch einzige Zeuge, nicht eingeladen, wie er nur selbst später mitteilte. Wir saßen alle an einem Tisch, und ein Hofrat verlas nochmals das Protokoll.  Es wurde so schnell verlesen, daß wirklich niemand etwas davon verstehen konnte. Ministerpräsident Graf Taaffe nahm es dann zu sich.  Erst im Jahre 1927 erfuhr ich, daß das Protokoll auf einem Schlosse in Ceshiev vom Grafen Taaffe bei einem Brande vernichtet wurde.  Sonst stellen diese zwei Bogen wirklich die einzigen noch existierenden authentischen Begebenheiten über das Drama von Mayerling dar.

Die richtige Darstellung

Als einziger noch lebender Zeuge des Dramas von Mayerling will ich es nicht in das Grab nehmen, sondern habe es meinem Sohn Johann Loschek diktiert. Einfach und wahr.

Ich fuhr mit meinem Hofwagen am 29.  Januar 1889 um 3/4 9 vorm. zum Südbahnhof, um nach Baden einzusteigen. Ab Baden fuhr ich mit meinem Fiaker Rosensteiner nach Mayerling, welches ich nach dem Geschmack Rudolfs eingerichtet hatte.  Nachmittags kam der einzige Jagdgast Graf Hoyos an. Rudolf schickte Prinz Coburg zum Kaiser, er könne nicht kommen, da er Halsschmerzen habe.  Ich selbst mußte dem Prinzen Coburg mündlich die Post übermitteln.  Rudolf kam erst abends mit seinem Leibfiaker Bratfisch mit Mary Vetsera an, und es begaben sich beide in das Zimmer. Gleich abends, als Forstmeister Hornsteiner über Jagdeinteilung mit Rudolf gesprochen hatte und er die morgige Jagd mit dem Hinweis, er habe keine Zeit, absagte, kam sofort Forstmeister Hornsteiner zu mir und sagte.- „Du, was ist's mit dem Kronprinzen, er hat jetzt mit mir gesprochen, hat aber an ganz etwas anderes gedacht." Ich selbst bemerkte auffallenderweise, wie er mich beim Abendessen, welches nur Rudolf und Hoyos allein einnahmen, vom Kopf bis zum Fuß groß ansah, als wollte er sagen, du bist es, welcher bald seinen guten, aber unglücklichen Herrn tot finden wird.  Spätabends war es, als wir alle schlafen gingen.  Für Rudolf und Vetsera gab es aber keinen Schlaf mehr. Ich schlief wie gewöhnlich im Nebenzimmer und Rudolf sagte mir beim Schlafengehen: „Sie dürfen niemand zu mir lassen, und wenn es der Kaiser ist!" Vetsera erwartete Rudolf im Zimmer, wo sie auch das letzte Nachtmahl eingenommen hatte.  Ich hörte die ganze Nacht über Rudolf und Vetsera in sehr ernstem Tone sprechen.  Verstehen konnte ich es nicht. 5 Minuten vor 1/4 7 Uhr früh kam Rudolf ganz vollständig angezogen zu mir in das Zimmer heraus und befahl mir, einspannen zu lassen.  Ich war noch nicht im Hofe draußen, als ich zwei Detonationen hörte, ich lief zurück, der Pulvergeruch kam mir entgegen, ich stürmte zum Schlafzimmer, doch war es entgegen der Gewohnheit Rudolfs abgesperrt. Was nun machen, ich holte sofort Graf Hoyos, und mit einem Hammer bewaffnet, schlug ich die Türfüllung ein, so daß ich gerade mit der Hand hineinkonnte, um die Tür von innen aufzusperren. Welch grauenhafter Anblick - Rudolf lag entseelt auf seinem Bette angezogen, Mary Vetsera ebenfalls auf ihrem Bette vollständig angekleidet. Rudolfs Armeerevolver lag neben ihm.  Beide hatten sich überhaupt nicht schlafen gelegt. Beiden hing der Kopf herunter. Gleich beim ersten Anblick konnte man sehen, daß Rudolf zuerst Mary Vetsera erschossen hatte und dann sich selbst entleibte. Es fielen nur zwei wohlgezielte Schüsse.  Die Anwesenheit einer dritten Person sowie daß Glasscherben im Kopfe Rudolfs steckten ist wie so vieles über Rudolfs Tod frei erfunden.  Ich telegraphierte sofort unserem Leibarzt Baron Dr. Widerhofer und den zwei Adjutanten Baron Siest (1) und Graf Rosenberg. Dr. Widerhofer war bereits gegen 1/2 9 Uhr hier. Ich sperrte alles ab und bettete Rudolf und auch Vetsera in ihre Betten.  Die Betten standen nicht wie Ehebetten nebeneinander, sondern an den beiden Wänden.

Auf dem Nachtkästchen Rudolfs war ein einfacher Zettel, an mich adressiert, und darauf stand: „Lieber Loschek!  Holen Sie einen Geistlichen und lassen Sie uns in einem gemeinsamen Grabe in Heiligenkreuz beisetzen.  Die Pretiosen meiner teuren Mary nebst Brief von ihr überbringen Sie der Mutter Marys. Ich danke Ihnen für Ihre jederzeit so treuen und aufopferungsvollen Dienste während der vielen Jahre, welche Sie bei mir dienten.  Den Brief an meine Frau lassen Sie ihr auf kürzestem Wege zukommen.  Rudolf." Jetzt erst brach auch ich zusammen, ich kniete nieder, meinen Kopf auf Rudolfs Arm legend, und weinte bitterlich.  Ein Klopfen scheuchte mich auf; es war bereits Dr. Widerhofer und ein Sekretär, welche den Tatbestand nach meinen Angaben aufnahmen. Denselben Tag noch brachten wir die Leiche Rudolfs nach Baden, wo wir zirka um 9 Uhr abends ankamen. Lakaien trugen den Sarg in einen Salonwagen, und nur Dr. Widerhofer und ich begleiteten unseren guten toten Herrn nach Wien.
Eine große Menschenmenge erwartete uns.  Ich fuhr dem Leichenwagen hinterher nach bis in die Burg. Das Weitere ist ja aus den Zeitungen schon längst bekannt.

So lautet einfach und ohne Romantik, genau wie ich es erzählt habe, das Drama von Mayerling, worüber schon so viel von nichteingeweihten Personen geschrieben wurde, welche es doch nur vom Hörensagen kannten, aber es nicht miterlebt hatten.

Es wurde oft und oft behauptet, ich erhielt eine große Summe Schweigegeld usw.  Das ist alles frei erfunden wie so vieles andre über Kronprinz Rudolf.  Rudolf bedachte in seinem Testament alle seine Angestellten. Auf diese Weise bekam ich 26 fl. nebst Gewehren, Kleidern usw., und ich besitze für jedes einzelne Stück eine Bestätigung.
Es ist eine Fabel, wenn behauptet wird, Loschek war nun ein reicher Mann geworden.

Kleinwolkersdorf, den 19. Jänner 1928
Johann Loschek Kammerdiener 
weiland Kronprinz Erzherzog Rudolf in Pension

Anmerkung:
(1) müßte lauten: Giesl

 

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