Denkschrift
Ich unterfertigte Frau Antonia Konhäuser, Tochter des Fiaker Eigenthümers
und Hausbesitzers Josef Bratfisch, jetzt wohnhaft Wien XVII, Dornbacherstraße
19 parterre, (geb. 30/3 1871 Wien MV, Pfarre Reindorf, im selben Jahr wie
Mary Vetsera), teile, gänzlich unbeeinflußt und der reinen Wahrheit
entsprechend, folgendes mit:
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Mein Vater Josef Bratfisch (geb. 26/8 1847, Wien VU Apollogasse 8, Pfarre
Schottenfeld, gest. 16/12 1892 im eigenen Haus Wien XVII, Lacknergasse
8, 45 Jahre alt, begraben am Hernalser Friedhof war etwa 3 Jahre Leibfiaker
des Kronprinzen Rudolf.
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Damals wohnten meine Eltern und ich Wien VIII, Laudongasse 52, parterre
rechts. In dieser Wohnung hat uns Kpr. Rudolf zweimal im Herbst
1888 in Begleitung von Frl. Mitzi Kaspar besucht. Er kam eigens zu
Jause, um des "garnierten Liptauers" willen, den meine Mutter seiner Meinung
nach ausgezeichnet anzurichten verstand und den er bei Hofe nie derart
bekam. Dazu wurde Bier und etwas Wein getrunken.
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Am Tische saßen noch meine Eltern und ich selbst, damals 17 Jahre
alt. Der Kronprinz war sehr legère, versank aber wiederholt
in tiefen Ernst, so daß seine Freundin - ich erinnere mich genau,
ihm mahnend sagte: „Kaiserliche Hoheit nehmen die Sachen viel zu tragisch",
worauf der Kronprinz wieder lächelte.
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Mitzi Kaspar, damals etwa 25 Jahre alt, war groß, dunkler Teint,
sehr hübsch und sympathisch, war auch sehr nett zu unserer Familie.
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Beim 1. Besuch brachte der Kronprinz meinem Vater, den er schätzte,
auch wegen seines Schönheits- und Kunstsinnes, ein kostbare silbereingelegte
Pistolen zur Bereicherung des von meinem Vater gesammelten Museums von
Waffenjagdtrophäen, antiken Bildern (Aquarellen) etc. auch ein heil.
Johannes (Holzschnitzerei) war dabei, ein seltenes Stück, das der
Kronprinz sehr bewunderte.
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Der Kronprinz war groß, schlank, trug Zivil, mit einem Hut.
Er sprach mit hoher Stimme, hatte prachtvolle Zähne und war äußerst
lieb zu uns. Auch wir verehrten und liebten ihn sehr.
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Bekannt wurde mein Vater mit Kronprinnz Rudolf etwa 1886 im Schloß
Orth durch seinen Freund Hans Schrammel, gelegentlich einer Hofjagd.
Dort spielten des öfteren die Schrammeln die meinen Vater als vorzüglichen
Volkssänger gut kannten. Er sollte für den Kronprinzen
als Überraschung dienen, die auch gelang. Der Kronprinz war
über den Gesang und die bescheidene Natürlichkeit meines Vaters
begeistert. Und als er überdies erfuhr, dieser sei Fiaker, zog
er ihn bald in seine Nähe, besonders als er auch seine Verschwiegenheit
kennen und schätzen lernte. So wurde mein Vater sein Leibfiaker,
während Prechtel sein Leibkutscher bei Hof blieb.
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Über diese Fahrten, mit Ausnahme der letzten, hat mein Vater nie gesprochen,
ebensowenig über die näheren Umstände in Mayerling.
Er hat das Geheimnis mit ins Grab genommen und alle in- und ausländischen
reichen Geldangebote abgelehnt.
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Die letzte Fahrt mit dem Kronprinzen Rudolf ging am 29. Jänner 1889
in Vaters Wagen über Mauer und Roter Stadl nach Mayerling. Es war
strenger Winter mit tiefem Schnee, die Räder blieben wiederholt stecken,
so daß der Kronprinz und der Vater wiederholt aussteigen und den
Wagen schieben mußten. Dabei erhitzte sich und verkühlte
sich der Kronprinz sehr arg, so daß er, wie bekannt, dann in Mayerling
an der Jagd nicht teilnehmen konnte.
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Als dann die Schreckensnachricht über die Katastrophe von Mayerling
die ganze Welt durcheilte, blieb mein Vater 4 Tage lang verschollen.
Ganz verstört kehrte er heim, sprach aber über die eigentliche
Affäre kein Wort. Nur etwas brachte er mit: eine kleine goldene
Damenuhr mit Brillianten, mit perlenbesetzter Sportkette und anhängendem
Goldring. Diese hatte ihm die Barorin Vetsera Mary im Jagdschloß
Mayerling bei seinem Abgang mit den Worten geschenkt: "Nehmen Sie das zum
Andenken, es ist ohnehin das letztemal."
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Bei meinem Vater erschien dann eines Tages Graf Georg Stockach (1),
Marys Onkel mit der dringenden Bitte, ihm die Uhr für Marys Mutter
(gegen eine ansehnliche Ablöse) zu überlassen. Zögernd
entsprach dem mein Vater.
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Bald erschien auch der Obersthofmeister des Kaisers, Fürst Montenuovo.
Sehr energisch sagte er meinem Vater: „Sie müssen fort von Wien."
Darauf erwiderte dieser: „Mein Ehrenwort gilt auch soviel, wie das eines
Kavaliers."
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Mein Vater ist dann in Wien, 45 Jahre alt, an Luftröhren-Entartung
(Krebs) gestorben und wurde am Hernalser Friedhof, Gruppe V, N. 130, begraben.
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Sein Ehrenwort, zu schweigen, hat er bis zu seinem Tode gehalten, selbst
seiner Familie gegenüber.
Vorstehende schlichte Wiedergabe meiner Jugenderinnerungen entspricht
der vollen Wahrheit.
Wien, Donnerstag, 18. April 1957.
Als Zeugen für die Richtigkeit:
Konhäuser Antonia, Tochter des Josef Bratfisch, Leibfiakers des
Kronprinz Rudolf
Hermine Konhäuser, Schwägerin d. Antonie Konhäuser
und Dr. Hermann Zerzawy, em, Regierungsrat und Archivar im Bundeskanzleramt
Anmerkung:
(1) Der Name des Onkels lautet richtig
Graf Stockau
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