Volltext der Hoyos-Denkschrift


Denkschrift
anläßlich des Hinscheidens Sr. kaiserl. u. königl.  Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Kronprinzen Erzherzog Rudolf am 30. Jänner 1889.

Eigene Wahrnehmungen, Selbsterlebtes.

Anläßlich von am 20. und 21.  Jänner d. J. im k. k. Reviere Orth an der Donau in den Auen abgehaltenen Jagden auf Kahlwild, denen Se. k. u. k. Hoheit Herr Erzherzog Otto, dann der Schwager Sr. kaiserl.  Hoheit des Kronprinzen, Prinz Philipp von Sachsen Coburg, beiwohnten, und zu denen auch ich befohlen war, erhielt ich vom durchlauchtigsten Kronprinzen in folgenden Worten eine Einladung: "Hoyos, wenn sie Zeit und Lust haben, kommen Sie gegen Ende nächster Woche mit mir nach Meyerling, um im Wienerwald (eine vom Kronprinzen übernommene Reservat-Jagd) noch Kahlwild abzuschießen!  Den Tag vermag ich noch nicht genau anzugeben, da ich viel zu thun habe." Dankend acceptirte ich die Einladung.  Am 26.  Jänner erschien der kaiserliche Hof-Laibjäger Wodiczka bei mir in meiner Wohnung in Wien, III.  Strohgasse 11, mit der Weisung, ich solle mich für 29. und 30. zur Fahrt und Jagd in Meyerling bereit halten.  Am Abend des 27. war großer Empfang bei dem deutschen Botschafter Heinrich VII.  Prinz Reuß, bei welcher allerhöchst Se.  Majestät unser Kaiser, das durchlauchtigste Kronprinzenpaar, sämtliche Diplomaten, Würdenträger und die ganze Gesellschaft erschienen waren.  Nachdem ich Tages vorher von Sr.  Majestät zum wirklichen geheimen Rath ernannt worden war, brachte man mir von vielen Seiten Glückwünsche dar, was auch durch seine kaiserl.  Hoheit den Kronprinzen geschah.  Dieser beauftragte mich auch, wegen der Fahrt am Dienstag, 29., früh, nach Meyerling mich mit Prinz Philipp Coburg ins Einvernehmen zu setzen, da er (der Kronprinz) schon am Vorabend hinausfahren wurde.  Nachträglich auffallend war mir, daß mich diesen Abend Baronesse Marie Wecsera, eine Dame, die ich sehr wenig kannte, zweimal ansprach.  Die junge Dame von etwa 20 Jahren fiel mir diesmal durch ihre blendende Schönheit auf.  Ihre Augen, die diesmal viel größer erschienen, funkelten schier unheimlich und ihr ganzes Wesen glühte.  Das erstemal theilte sie mir mit, sie habe mich an ihrer Wohnung  vorbeigehn gesehn, sei aber zu schüchtern gewesen, sich zu zeigen.  Bei der zweiten Ansprache frug sie mich beiläufig, ob ich manchmal mit dem Kronprinzen jage.  Ich weiß nicht mehr genau, was ich antwortete, beiläufig aber mag ich erwiedert haben, daß ich demnächst Gelegenheit haben werde, bei Meyerling im Wienerwald zu waidwerken.

Am 28. war ich zur Beeidigung als geheimer Rath bei Sr.  Majestät dem Kaiser, ging von dort zum Obersthofmeister des Kronprinzen, Exzellenz Graf Carl Bombelles, und dann um 11 Uhr Vormittag in die Kammer Sr. kaiserl.  Hoheit des Kronprinzen, um anzuzeigen, daß ich mit Prinz Coburg vereinbart habe, daß wir am 29. mit 6 Uhr Frühzug nach Baden und dann zu Wagen nach 8 Uhr nach Meyerling kämen.  Bei dieser Gelegenheit wurde mir durch das Kammerpersonal zu meinem Befremden mitgetheilt, daß Se. kaiserliche Hoheit der Kronprinz soeben nach Meyerling abgereist sei.

Dienstag den 29.  Jänner fuhr ich denn mit Prinz Coburg nach Meyerling, wo wir 10 Minuten nach 8 Uhr früh ankamen.  Der Prinz machte mich, sobald wir Meyerling in Sicht hatten, darauf aufmerksam, daß alle Jalusien der Fenster gegen die Straße und Einfahrt zu geschlossen seien, als ob das Schlößchen unbewohnt wäre.  Wir begaben uns in das sogenannte Billardzimmer, Parterre, rechts vom Eingang ins Schlößchen, wo gefrühstückt werden sollte, und warteten.  Nach etwa 5 bis 10 Minuten erschien der Kronprinz im Morgenanzug, bot uns einen herzlichen guten Morgen und setzte sich mit uns zum Frühstück, dem er zusprach.  Er erzählte, daß er zu Wagen über Breitenfurth herausgekommen sei, der Laibwagen über den ganz glatten, eisigen Berg nächst Gaden nur mit Bauernvorspann zu bringen gewesen sei, er, ohne seinen Pelz abzulegen, den Wagen schieben geholfen, gelaufen und sich verkühlt habe, und ihn erst der als Relais aufgestellte Fiaker von Wien (mit dem Spitznamen Bratfisch) nach dieser mühsamen Expedition um ½ 4 Uhr Nachmittag hierher nach Meyerling gebracht hätte.
In  dieser Aussage war mir Vieles unverständlich.  Erstens die Reise zu Wagen überhaupt, dann die unglaublich lange Dauer derselben, trotz Glätte der Straße, und schließlich die Geschichte von dem glatten gadner Berg, der ja erst nach Breitenfurth kommt, wo ein Wagenwechsel voraussichtig war.  Es war etwas misterios, und ich enthielt mich jeder Frage.

Während des Frühstückes erklärte der Kronprinz, er sei so verkühlt, daß er schon gestern Abend meinte, schwer krank werden zu müssen, und es daher besser sei, wenn er der abzuhaltenden Jagd in Glashütte mit ihren steilen Hängen nicht beiwohne, zu was ihm auch Loschek (der Kammerdiener, eigentlich Saalthürhüter) gerathen habe.

Das Frühstück verlief ganz heiter, und entließ uns der Kronprinz huldvoll mit Waidmannsheil.

So fuhr ich denn mit Prinz Coburg allein auf die Jagd, die als einzige Beute ein von mir erregtes Thier ergab.
Prinz Coburg war um etwa ½ 2 Uhr, ohne daß ich mich verabschieden konnte, von seinem Stande zum Wagen geeilt und nach Meyerling gefahren, wo er, wie ich später von ihm hörte, mit dem Kronprinzen, der in guter Laune war, Thee nahm.  Bei dieser Gelegenheit meinte der Kronprinz, er hätte seinem Schwager etwas mitzutheilen, rieb sich die Hände, schien etwas verlegen und sagte schließlich auf Aufforderung wegen Mitteilung, da die Zeit zur Abfahrt da sei, nur, Prinz Coburg möge dem kaiserlichen Vater viele Handküsse entbieten.  Der Prinz setzte dann die Fahrt nach Wien zu einem Familiendiner, bei welchem sich der Kronprinz wegen Unwohlseins entschuldigen ließ, fort.  Ich kam erst um ½ 6 von der Jagd zurück, in meine Wohnung, die sich etwa 500 Schritte vom Meyerlinger Schlößchen (in dem ehemaligen Arbeiterhaus) befand, und war für 7 Uhr zur Tafel befohlen.  Zu dieser Stunde fand ich mich denn auch im Schlößchen ein.  Der Kronprinz kam nach kurzer Zeit in das Billardzimmer (Rechts parterre vom Eingang), wo ich gewartet hatte und gespeist werden sollte, erkundigte sich nach den Resultaten der Jagd und andern Umständen, erwähnte, daß die morgige Jagd in Schöpflgitter viel mehr Erfolg verspräche, und setzte sich zum Speisen, bei welchem ich der einzige Gast war.  Unsere Gespräche drehten sich um Allerlei.  Se. kaiserl.  Hoheit bemerkte, er habe heute sehr viel geschrieben und sei garnicht vor der Thüre gewesen.  Er schien mir etwas weich, milde in seinen Urtheilen und ließ den ganzen Zauber seines Wesens auf mich wirken.  Ich ergriff die Gelegenheit, nachdem ich den Kronprinzen seit ungefähr Jahresfrist nicht ohne Zeugen gesehen hatte, ihm für alle Güte, seine unentwegte treue Liebe zu danken, auch für die herrlichen Pürschen im Wienerwald im May und Juni, bei denen ich 10 Stück Hochwild und 30 Stück Rehböcke erlegte, was ich in der prachtvollen Natur sehr genossen habe.  Se. kaiserl.  Hoheit erwiederte beiläufig: "Ja. das weiß ich, der Wienerwald ist schön, sehr schön." Eine ganze Weile erzählte ich über merkwürdige Vorgänge und den unglaublichen Instinkt der verschiedenen Vorstehhunde, die ich besaß.  Der Kronprinz zeigte mir 3 Telegramme des Graf Pista Kàroly aus Pest und meinte, diese seien das Resultat der Mahnungen des schlechten Gewissens, da Kàroly in Pest eine Rede gegen das neue Wehrgesetz gehalten habe, und oppositionelle Zeitungen diese und die Mittheilung, Graf Pista Kàroly habe vorher einen Brief des Kronprinzen bekommen, hintereinander brachten, um den Thronerben zu compromitiren.  Der Kronprinz meinte denn auch, die Sache sei recht fatal, man dürfe dies aber den eigenthümlichen Naturen dieser Herrn nicht übl nehmen.  Erst sprach Kàroly gegen das Wehrgesetz und gratuliert dann telegraphisch zur Annahme desselben.  Auch über die Küche sprach der Kronprinz und frug mich, ob ich die Kost nicht gut finde, die zwar einfach, aber wohl viel gesünder sei, als die er gewöhnlich habe.  Es wurde nähmlich diesmal nur von einer Köchin gekocht, und diese sei noch lange nicht so gut als die seines Töchterchens (der Erzherzogin Elisabeth).  Das Menu war besonders einfach, Suppe, Gansleberpastete, Roastbeef, Rehbraten und Mehlspeise.  Mein höchster Gastgeber aß mit ziemlichem Apetit und sprach dem Weine.mäßig zu.  Der Kronprinz klagte über starken Schnupfen, der aber, wie er meinte, bald behoben sein werde.  Auf meine Anfrage, ob ich vielleicht mit Sacktüchern aushelfen dürfe, erwiederte er dankend, daß er bis morgen sein Auskommen mit solchen fände.  Nachdem wir geraucht hatten, und es etwa 9 Uhr geworden war, zog sich der Kronprinz, bemerkend, daß er seinen Schnupfen pflegen müsse, mit gewohnter Herzlichkeit die Hand reichend und gute Nacht wünschend, zurück.  Ich konnte nicht ahnen, daß ich diese Hand zum Letztenmal geschüttelt hatte!  Ich begab mich in meine etwas entlegene Wohnung und um 10 Uhr zu Bette.

Am Morgen des 30., Mittwoch, hatte Se. kaiserliche Hoheit das gemeinsame Frühstück, wie er mir am Vorabend sagte, gleich nach Ankunft des Prinzen Coburg von Wien bestimmt.  Nachdem mir bekannt war, daß wir am 29., mit selbem Zug Wien verlassend, um 8 Uhr 10 Minuten angekommen waren, so sollte die heutige Ankunft des Prinzen zur selben Zeit stattfinden, und hatte ich die Absicht, mich um 8 Uhr in das Schlößchen hinauf zu begeben.

Es fehlten noch einige Minuten zu dieser Stunde, und ich war schon ganz bereit, als mir mein Kammerdiener den Schloßwarth Zwerger meldete.  Letzterer eingelassen, machte mir die Mitteilung, daß Kammerdiener Loschek mir melden ließe, daß Se. kaiserl.  Hoheit der Kronprinz nicht zu wecken sei.  Auf meine Erwiederung, daß er eben sehr gut und fest schlafen werde, machte er weitere Mittheilungen, und zwar, der Kronprinz sei um ½ 7 auf gewesen, im Morgenanzug ins Vorzimmer gegangen, habe dort an Loschek, der im Nebenzimmer wohnte, den Auftrag gegeben, ihn um ½ 8 wieder zu wecken und für selbe Stunde ein Frühstück und den Fiaker Bratfisch mit seinem Wagen zu bestellen, und habe sich dann, vor sich hinpfeifend, wieder in das Schlafgemach zurückbegeben.  Loschek klopfte nun seit ½ 8 Uhr ununterbrochen, erst mit dem Finger, dann mit einem Scheite Holz an die Thüre des Schlafzimmers, ohne daß irgend ein Lebenszeichen erfolgt.  Die Thüre des Schlafzimmers gegen das Vorzimmer sei von Innen und ebenso die Thüre, welche von der Wendltreppe vom ersten Stock in das Schlafgemach führt, ebenfalls von Innen versperrt und stecken die Schlüssel.

Nun war aller Grund vorhanden, Unheil zu ahnen, und eilte ich mit Schloßwarth Zwerger in das Schlößchen.  Loschek wiederholte mir dort die bereits angeführte Aussage.  Nachdem ich selbst geklopft und sehr laut den Kronprinzen gerufen hatte, frug ich noch rasch, ob mit Kohlen geheizt wurde, was verneint wurde.  Da Loschek die Verantwortung wegen eventuellem Einbruch der Thüre nicht übernehmen wollte, gab ich den Befehl, die Thüre auf meine eigene Verantwortung sofort zu erbrechen.  Nun erst erklärte Loschek, daß der Kronprinz nicht allein sei, und setzte hinzu, eine Baronesse Wecsera sei bei ihm.  Diese Mittheilung brachte mich begreiflicher Weise in die größte Bestürzung, um. umsomehr, als ich weder eine Ahnung von der Anwesenheit der Baronesse in Meyerling noch Oberhaupt von Beziehungen von ihr mit dem durchlauchtigsten Kronprinzen hatte, und für mich auch nicht der geringste Anlaß vorlag, irgend welche Beziehungen auch nur entfernt zu vermuthen.  Nun war das Schlimmste zu befürchten, bei der Todtenstille, die im Schlafgemache herrschte, war an die Möglichkeit einer erfolgreichen Hülfe kaum zu dneken, da seit ½ 7 fast sieben Viertl Stunden vergangen waren, und die Verantwortung, die ich tragen sollte, eine Erdrückende.  Meine Uhr zeigte 8 Uhr 9 Minuten, Prinz Coburg mußte beinahe schon da sein.  Auf meine in der Vorhalle gestellte Frage eilte einer der Leute außer den Hof und meldete, der Prinz fahre soeben heran.  In Kürze theilte ich dem Prinzen im Billardzimmer die Sachlage mit, und kamen wir nach kurzer Berathung zu dem Entschlusse, die Thüre auf unsere Verantwortung erbrechen zu lassen.  Unter den so unendlich heiklen Umständen sollte Loschek allein sich von der Sachlage überzeugen und die Bestimmung weiterer Zeugenschaft, wenn nicht Gefahr im Verzuge ist, ausschließlich Sr. a. Majestät vorbehalten bleiben.

Nachdem die Thüre gegen das Vorhaus (respective Stiegenhaus) abgeschlossen war, wurde, im Beisein des Prinzen Coburg und mir, durch Loschek mittelst einer Holzhacke das Schloß der Thüre zu sprengen versucht, doch erst das Einschlagen der Thürfüllung verschaffte Einlaß.  Loschek, der in das Gemach blickte, erklärte, daß Beide als Leichen im Bette lägen.  Unsere Bestürzung und unser Schmerz waren unaussprechlich.  Es wurde die Frage erörtert, ob nicht ein Arzt herbeizurufen sei.  Bei den gegebenen Umständen war dies, wenn alles Leben entflohen war, aber nicht rathsam.  Es handelte sich vor Allem darum, zu constatiren, ob jede Hülfe vergeblich wäre.  Loschek sollte sich davon überzeugen.  Nachdem die Thüre, durch die eingeschlagene Füllung greifend, mit dem Schlüßl von Innen geöffnet war, trat Loschek ein, um nach wenig Augenblicken zu erklären, daß sich keine Spur von Leben in den Körpern befindet, der Kronprinz über den Bettrand gebeugt liege, eine große Blutlache vor sich, und der Tod voraussichtlich durch Vergiftung mit Cian Cali erfolgt sei, da hiebei solche Blutstürze vorkämen.  Der Tod durch Schußwaffe wurde erst später constatirt.

Nun war vor Allem eine Verständigung Sr.  Majestät nothwendig.  Nach kurzer Berathung übertrug mir Prinz Coburg diese Mission, da er, von Schmerz gebrochen, selbst kaum mehr actionsfähig war.  Nachdem ich durch Loschek noch telegraphisch den Hofrath Dr. Wiederhofer, ohne weitere Motive anzugeben, dringend aus Wien berufen ließ, fuhr ich, nachdem ich mir nur rasch meinen Pelz von meiner Wohnung kommen ließ, um 8 Uhr 37 Min. von Meyerling mit dem ohnedies zur Fahrt bereiten Fiaker Bratfisch ab.  Mit Prinz Coburg war ich übereingekommen, daß er ab Wache zurückbleibe, damit niemand vor den von Sr.  Majestät Delegirten oder vor Hofrath Dr. Wiederhofer Einlaß fände.  Die Fahrt ging, obwohl die Straße eisig und glatt war, recht rasch von Statten.  Bratfisch suchte mich auszufragen und, nachdem ich garnichts oder ausweichend geantwortet hatte, frag er, was er andern für Auskünfte geben solle.  Ich sagte: Keine.  Als wir uns, nachdem ich stets zur Eile getrieben hatte, Baden näherten, gab ich dem Fiaker die Weisung, an der Bahn Hofrath Dr. Wiederhofer zu erwarten.  Der Fiaker meinte, es wäre doch besser, wenn er gleich nach Meyerling zurückführe, er habe dort eine "Fuhre", er würde dort erwartet.  Ich beruhigte ihn damit, daß Alles geordnet sei, er solle nur in Baden warten.  Im badner Bahnhof angekommen, wurde eben der 9 Uhr 18 Eilzug, von Triest kommend, der in Baden keine Passagiere aufnimmt, erwartet.  Nachdem ich noch telegraphisch den ersten Obersthofmeister Durchl. Prinz Constantin Hohenlohe sofort in die Burg enthoten hatte, verschaffte ich mir unter Hinweis, daß ich im allerhöchsten Dienst reise, Aufnahme im Eilzug.  Mir war darum zu thun, daß bis auf weitern allerhöchsten Befehl Alles so geheim wie möglich bleibe, und hatte denn auch weder in Meyerling selbst noch auf meiner kurzen Reise irgend Jemand etwas erfahren.
Um 10 Uhr 11 Minuten, nach der Burguhr, betrat ich, meinen Fiaker am Josefsplatz zurücklassend, den Schweizerhof und begab mich über die sogenannte Küchenstiege in die im zweiten Stockwerke gelegene Wohnung des Obersthofmeisters des Kronprinzen, Viceadmirales Graf Carl Bombelles.  Ich traf ihn daheim und theilte ihm sofort den entsetzlichen Sachverhalt mit.  Mit ihm begab ich mich zum Obersthofmeister Ihrer Majestät der Kaiserin, Baron Nopcsa, und mit diesem, nachdem er herbeigeholt war, zu seiner Majestät Generaladjutanten Feldmarschall  Graf Eduard Paar.  Es wurde beschlossen, daß das unabsehbare, entzetzliche Unglück zuerst Ihrer Majestät (was durch Intervention von Fräulein von Ferenzy geschah) und durch allerhöchst dieselbe erst Sr.  Majestät mitgetheilt wurde.  Um die Mittagsstunde etwa ließ mich Se. Majestät rufen, der im ersten Augenblick sehr ergriffen war und mir die Hand reichte, die ich mit Küssen bedeckte.  Allerhöchst selber ließ sich eingehend berichten und erzählte ich Alles, was ich wußte.  Selben Tages am Abend ließ mich die durchl.  Frau Kronprinzessin-Witwe zu sich bescheiden und mußte ich eingehend erzählen.  Sie war von der vollen Wahrheit in Kenntniß gesetzt.  Im Verlaufe der Audienz bemerkte Höchstdieselbe, daß sie das Unglück habe kommen sehn........

Anfangs war ein eingehendes Verhör der diversen Zeugen in Aussicht genommen und ein solches für 31. Jänner, 5 Uhr Nachmittags bestimmt.  Nachdem es aber davon abkam und jede weitere Erörterung der Katastrophe inhibirt wurde, so sehe ich mich vor Allem bemüßigt, die im Anschlusse befindliche Erklärung in die Hände des Ersten Obersthofmeisters Sr.  Majestät zu hinterlegen, welche er unter Berufung auf seinen Eid mit Kenntniß Allerhöchst Sr.  Majestät zu den geheimen Akten (Protocoll, durch die von Sr.  Majestät zur Aufnahme des Thatbestandes in Meyerling bestimmte Comission aufgenommen) beischloß.

Die Comission fand nähmlich an diverse Personen adressirte Briefe, darunter auch lestwillige Aufträge an Loschek, vor.  In diesen ist ein auf mich bezüglicher, mir von Sr.  Durchl. dem Ersten Obersthofmeister vorgelesener Passus enthalten, der im Wesentlichen folgend lautet- "Graf Hoyos lasse ich grüßen.  Die Baronesse läßt ihm sagen, er möge sich an das erinnern, was er ihr am Abend des Empfangs bei dem deutschen Botschafter Prinz Reuß über Meyerling gesagt hat.  Hoyos soll nicht nach Wien telegraphiren, sondern nur nach Heiligenkreuz um einen Geistlichen schicken, damit dieser bei mir bethe."

Durch all dieses sehe ich mich genötigt, zur Steuer der Wahrheit, um meinen Namen auch in künftigen Zeiten rein erhalten zu können, für spätere Generationen und als Zeugenschaft, falls unter Historikern oder Andern Streitigkeiten über die Umstände bei dem tragischen Todesfall des Durchlauchtigsten Herrn Kronprinzen Erzherzog Rudolf entstehn, diese Denkschrift zu Papier zu bringen.

Vorstehende Daten habe ich Anfang Februar 89, so lange ich die Vorgänge noch in frischem Gedächtnisse hatte, niedergeschrieben, und enthalten dieselben die volle Wahrheit, so wahr mir Gott helfe!

Wien, Anfang Februar 1889.
Josef Gf.  Hoyos,
S.M. wirklicher Geheim Rath
und Kämmerer.

Vollkommen glaubwürdige Zeugen berichten mit Bezug auf die Katastrophe von Meyerling am 30.  Jänner 1889:
Sr. kais. u. königl.  Hoheit hat die Bekanntschaft der Baronesse Marie Wecsera am 5. November 1888 gemacht.  Gräfin Marie Larisch Wallersee spielt dabei eine wichtige Rolle.  Selbe hatte den Kronprinzen sowohl in ihrem Absteigquartier im Grand Hotel (Kärntner Ring) als auch im Prater gesprochen, was zum Resultate führte, daß die Baronesse Marie Wecsera sich fünfmal Abends in den Gemächern des Kronprinzen in der Burg einfinden konnte.  Von dem ins Vertrauen gezogenen Fiaker Bratfisch unter den Verbindungsgang des Palais Erzherzog Albrecht gebracht, er. wartete sie dort Saalthürhüter Loschek, welcher die Baronin durch die Gitterthüre und Aufgang in die innern Gemächer der Burg brachte.  Wiederholt wurde die Baronesse auch vom Kronprinzen selbst zu einer kurzen Spazierfahrt abgeholt, indem Höchstselber im Wagen des Fiakers Bratfisch nächst der Wohnung der Baronin in der Marokkanergasse wartete, wohin vom Hause der Baronin in der Salesianergasse nur wenige Schritte zu machen sind.  Die Schwierigkeit, sich den Abend ihrer Familie gegenüber frei zu halten, wußte die Baronesse durch die mannigfaltigsten Mittel zu überwinden.  So wußte sie eines Abends, da sie mit ihrer Familie das Theater besuchen rollte, dies dadurch zu verhindern, daß sie sich das Haar wusch, sich triefend bei ihrer Mutter, die sie sehr schalt, zeigte, mit der Bemerkung, sie hätte gemeint, das Haar würde bald wieder trocken sein, nachdem dies aber nicht der Fall sei, könne sie den ihren unmöglich in das Theater folgen und müsse daher daheimbleiben.  Briefe an eine Vertraute der Baronesse, ihrer früheren Gouvernante, die im Adel lebt, geben darüber eingehenden Aufschluß, so auch daß es am 13. Jänner war, wo die Baronesse dem Kronprinzen nichts mehr vorenthielt. (Aussage des Grafen Wilmos Festetits, eines Hausfreundes bei Wecsera, dann in einigen Puncten Sr.  Hoheit des Prinzen Philipp Coburg und I. königl.  Hoheit der Prinzessin Louise Coburg.) Nach Bericht von Sr. kaiserl. u. königl.  Hoheit Erzherzog Otto und S. H. Prinz Coburg hat der Kronprinz um diese Zeit von der Baronesse gesprochen und eine Zigarettentasche mit der beiläufigen Aufschrift: "Dank dem glücklichen Geschick 13.  Jänner 1889" gezeigt. (Diese Tasche wurde im Nachlaß nicht vorgefunden.)

Sowohl der gewaltsame Tod des Kronprinzen als jener der Baronesse Marie Wecsera waren schon vorher zusammen beabsichtigt.  Daß der durchl.  Kronprinz in dieser Richtung von einer förmlichen Manie geplagt war, erhellt daraus, daß er an seine Umgebung, wie den Herrn Erzherzogen Franz, Otto, Friedrich, dem Herzog Don Miguel von Braganza, dem Maler Franz von Pausinger, diesbezügliche Andeutungen machte und in letzterer Zeit oft die Frage stellte: "Fürchtest Du Dich vor dem Tode?  Letzterem sagte er schon vor 6 Jahren gelegentlich eines Jagdaufenthaltes in Görgeny in Ungarn, als von seinem einstigen Regierungsantritte die Rede war: "Nicht ich, dieser, der dort kommt (auf den Herrn Erzherzogen Franz, deutend) wird Kaiser von Oesterreich soll er schon kurze Zeit vorher einem andern Antrag gemacht haben, mit ihr zu sterben.  Trotz Ahnungen war er voll Lebenslust und Schaffensdrang.

Das die Baronesse ihren Tod wollte, ist unzweifelhaft daraus festgestellt, daß sich diese Absicht in einem Briefe an ihre Mutter darin sagt: "Wir sind schon sehr neugierig,wie es in der andern Welt aussieht!" (Zeuge Graf W. Festetits), daß sie, wie mir Herzog von Braganza sagt, ihrem Begleiterauf dem Eise Gundaakar Graf Wurmbrand (Oberlieutnant und -Adjudant des Erzherzogs Ludwig Victor), der mir dies auch bestätigt sie werde in wenig Wochen sterben, und ihn vversicherte sie werde ihm einen ihm bekannten Fingerring vermachen.

Es wäre ein großer Irrthum, zu glauben, der Kronprinz sei aus unglücklicher Liebe in den Tod gegangen, denn, wie glaubwürdige Zeugen berichten (Obersthofmeister Graf Bombelles, Flügladjutant Oberstlieutnant Graf Orsini Rosenberg, 1. Sectionschef im Ministerium des Aeußeren Excellenz von Segyöny), hat der Kronprinz, wie er in letzterer Zeit überhaupt ein ausschweifendes Leben führte, laut Meldung des Burghauptmannes Kirschner die letzte Nacht in Wien vom 27. auf den 28.  Jänner in der Burg selbst mit der ihm längst bekannten Frl.  Mitzi (Marie Kaspar) zugebracht und an diese noch einen letzten, von Liebe überströmenden Brief geschrieben (Excellenz von Segyöny als Zeuge).  Fräulein Marie Kaspar wurde im letzten und vorletzten Jahre vom Kronprinzen öfter gesehn und auch zu den in militärischen Angelegenheiten nothwendigen Reisen oft mitgenommen und in den betreffenden Nachtquartieren gesehn (Zeuge Oberstlieutnant Graf Orsini Rosenberg).  Um seinem eigenen Secretariate von dem nothwendigen Aufwande an Geldmitteln nichts merken zu lassen, wußte er sich solche von anderer Seite zu verschaffen und hat es Wahrscheinlichkeit, daß das Anlehn............... bei Baron Hirsch gemacht wurde (Z. Erzherzog Otto).  Factum ist, daß in der Schreibtischlade des Kronprinzen ein Couvert, daß ich selbst sah, gefunden wurde, welches die volle Adresse des Kronprinzen mit Angabe: Inhalt 100000 fl. trug, aber nur mehr mit 30000 fl. beschwert war (Z.  Des Obersthofmarschallamtes Regierungsrath Kubasek).  Fräulein Marie Kaspar hat sich nach Angabe des Herrn Erzherzogs Otto ein  Haus auf der Wieden um 60000 f. gekauft.  Das Secretariat des Kronprinzen war nicht wenig über[r]ascht, vor kurzem eine quittirte Rechnung per 1500 fl. von einem Juvelier zugeschickt zu erhalten, ohne eine Zahlung geleistet zu haben (Z.  Oberstl.  Orsini Rosenberg).

Aus einem im Schreibtische des Kronprinzen in der Hofburg zurückgelassenem Schreiben ist ersichtlich, daß die That bevorstehend war (Z.  Excellenz von Segöny).  Der Kronprinz wurde von der von Sr.  Majestät delegirten Comission im Bette mit einer Schußwunde, die er sich mittelst Revolvers und Zuhilfenahme eines Spiegels in die rechte Schläfe beigebracht hatte, welcher Schuß eine theilweise Zertrümmerung der Hirnschale nach sich zog, gefunden.  Neben ihm die Baronesse Marie Wecsera, schwarz gekleidet, Blumen im Haar und in den gefalteten Händen, mit einer Schußwunde durch den Kopf, von rechts nach links.  Auch durch diesen Schuß hatten sich die Kopfnäthe etwas getrennt.  Der Kronprinz hatte einen Revolver in der rechten Hand, von dem 2 Schüsse abgefeuert waren.  Nachdem die Aerzte sich erst nach dem Amtiren der Comission mit der Leiche des verbliebenen Kronprinzen beschäftigen konnten, waren sie nicht mehr im Stande, den rechten Zeigfinger, der in krummer Lage am Abzug des Revolvers lag, in gerade Stellung zu bringen (Zeugen: Obersthofmeister Craf Bombelles, Hofrath Dr. Wiederhofer, Laibarzt Dr. Auchenthaler).

Bei den zurückgelassenen Briefen, unter denen sich keiner für Seine Majestät befand, war einer an Se. königl.  Hoheit Don Miguel von Braganza gerichteter.  Diesem schreibt die Baronesse (da sie selbem vom Lande, da der Herzog in der Nähe ihres Pachtschlosses Schwarzau stationiert war, kannte) einen heiteren Brief, indem es sich hauptsächlich um eine Boa (Halspelz) handelt, die sie ihm vermacht und die er ober seinem Bette aufhängen solle.  Ein Postscriptum des Kronprinzen sagt nur- Servus Wasseter! und Unterschrift.  Wasserer war ein dem Herzog gelegentlich der Jagden in Görgeny, wegen eines getragenen rothen Halstuches gegebener 'Spitzname (Z.  Herzog von Braganza).

Der Fiaker Bratfisch hat sich zum Laibjäger Wodiczka, als dieser um 7 Uhr früh zum rendez vous der projectirten Jagd fahren wollte (nach Aussage des Wodiezka an den Chef des Secretariates des Kronprinzen, Oberst Ritter von Spindler) geäußert, er könne sich dies wohl ersparen, da ohnedies keine Jagd sein würde, weil der Kronprinz todt sei (Z.  Oberstl.  Graf Orsini Rorenberg).  Welche Motive Bratfisch zu dieser Aussage hatte, ist mir unbekannt.  Ist es auf Grund von Gesprächen, die er während der Fahrt belauschte, oder nur eine Combination.  Thatsache ist, daß Wodiczka nicht zur Jagd, wie sonst üblich, vorausfuhr.  Der Leichnam der Baronesse Wecsera wurde in der Nacht vom 31.  Jänner auf den 1. Februar unter Intervention eines Hofsecretäres, dann des Grafen Georg Stockau und Herrn Baltazzi, Letzterer ein Onkel der Verstorbenen, nur in einen Pelz gehüllt, mittelst Fiaker von Meyerling nach dem Stifte Heiligenkreuz überführt, dort in einen Sarg gelegt und bestattet.  Darüber wurde ungefähr folgendes Protocoll aufgenommen: In der Gemeindemarkung Meyerling wurde ein weiblicher Leichnam mit einer Schußwunde durch den Kopf aufgefunden und von den gefertigten Zeugen Graf Stockau und Herrn Baltazzi als dem der Baronesse Marie Wecsera agnoscirt und selbe in Heiligenkreuz bestattet (Folgen die Unterschriften) (Z.  Herr Regierungsrat Kubasek).

Der Kronprinz Erzherzog Rudolf, mit dem ich durch mehr als ein Jahrzehnt zu verkehren das Glück genoß, war mir ein treuer, aufopfernder Freund, wenn gleich ich es ängstlich vermied, jemals irgend ein Begehr an ihn zu stellen.  Der Umgang mit ihm, sein vielseitiges Wissen, seine Liebenswürdigkeit und Natürlichkeit hatten einen eigenen Zauber.

Seine Ehe mit Stephanie, königlicher Prinzessin von Belgien, war, obwohl der Bund nur mit einer Tochter, Erzherzogin Elisabeth, gesegnet war, durch eine Reihe von Jahren eine sehr glückliche.  Erst in den letzten 2-3 Jahren trat eine Trübung dieses zärtlichen Verhältnisses ein ...

Die große Consumtion geistiger und körperlicher Kräfte mögen ihn zu jener Trübung der Sinne gebracht haben, deren Vorhandensein der Mangel an Logik in seinen letzten Schritten bekräftigt.

Wien, im Februar 1889.

Josef Gf.  Hoyos.

Abschriftt. 

Sr. Durchlaucht dem Ersten Obersthofmeister Sr. apostolischen Majestät des Kaisers Franz Josef, Feldzeugmeister Constantin Prinz Hohenlohe!

Anläßlich der entzetzlichen Katastrophe, die sich am 30. Jänner d. J. im Jagdschlosse Meyerling vollzog, wurde ich am selben Tage von Allhöchst Sr. a. Majestät und der durchlauchtigsten Frau Kronprinzessin Witwe Erzherzogin Stephanie befragt, ob ich mit Baronesse Marie Weesera gut bekannt sei und von Beziehungen zu Sr. kaiserlich und königlichen Hoheit dem durchlaucht.  Herrn Kronprinzen Erzherzog Rudolf gewußt habe.
Diese Fragen wurden dahin beantwortet, daß ich mit Baronesse Wecsera nur soweit bekannt sei, daß ich selbe grüße, jedoch in der Soiree bei dem deutschen Botschafter Fürsten Reuß am 27. Jänner zweimal von Baronesse Wecsera angesprochen wurde,und weiters mir irgend welche Beziehungen gänzlich unbekannt waren.  In letztwilligen schriftlichen Verfügungen Sr. k. u. k. Hoheit d. d. Herrn Kronprinzen an Saalthürhüter Loschek heißt es nun unter anderem, wie mir Sr. a. Majestät Erster Obersthofmeister Prinz zu Hohenlohe mittheilt, daß die Baronesse dem Grafen Hoyos sagen lasse, er möge über das nachdenken, was ihr von selbem in der Soiree des Fürsten Reuß über die Jagd von Meyerling gesagt wurde.

In Erwägung, daß eine solche Mittheilung und Aufforderung in diesem Momente eine gewisse Vertrautheit voraussetzen läßt, in weiterer Erwägung, daß diese vertrauliche Mittheilung im Wiederspruch mit der Allerhöchsten und höchsten Ortes gegebenen Antwort zu stehen scheint, so halte ich es für meine Pflicht, in dieser Angelegenheit folgende Erklärung in die Hände Euer Durchlaucht niederzulegen:

I. Ich habe Baronesse Marie Wecsera nur so weit gekannt, daß ich sie grüße und vor Zeiten einige wenige Worte mit ihr gewechselt habe.  Das Haus oder die Wohnung der Baronin Wecsera habe ich meines Wissens niemals, gewiß aber seit einer langen Reihe von Jahren nicht betreten.

II. Beziehungen Sr. kaiserl. u. königl.  Hoheit des durchl.  Kronprinzen zu Baronesse Marie Wecsera hörte ich von keiner Seite erwähnen oder andeuten und waren mir solche daher vollständig unbekannt.

Dies ist die reine Wahrheit, so wahr mir Gott helfe. 

Euer Durchlaucht ergebenster Josef Graf Hoyos, Sr. Majestät wirk.  G. Rath u. Kämmerer.
 

 

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